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Künstler in der Pandemie #1

“Wer will denn systemrelevant sein, wenn er lebenswichtig ist.”

Jo van Nelsen kenne ich schon seit einer halben Ewigkeit, als ich noch im Gallustheater in Frankfurt gearbeitet habe. Ich habe damals neben meinem Studium an der Hochschule für Gestaltung im Theater mitgeholfen, aber auch alle Stücke fotografiert. Er war 21, als er dort einen Auftritt hatte und ich erinnere mich so genau daran, weil sogar das Fernsehen kam, um eine Ankündigung über ihn zu drehen.

Jo ist Musikkabarettist, Regisseur, Autor und Coach. Ihr findet ihn hier

www.jovannelsen.de

Weil er sich während des ersten Lockdowns auf Facebook sehr viel über die Auswirkungen der Corona Pandemie auf die Künstler und Solo Selbständigen geäußert hat, kam er für mich gleich in Frage für mein erstes Interview. Lieber Jo, ich danke Dir für Dein Vertrauen, der erste Künstler meines Projektes zu sein.

Aber erst einmal zeige ich Euch die Fotos, die ich während des Interviews am 24.11.2020 bei ihm zuhause gemacht habe.

Ich danke dem Frankfurter Kulturdezernat für die Unterstützung.

Hier ist ein durchsichtiger Text.

Ich komme gut mit dem Lockdown zurecht.

Weil es sich nicht so unterscheidet von dem Leben, was ich auch sonst führe. Es gibt Phasen in meinem Leben, da wünsche ich mir nichts anderes, als ein Privatgelehrter des 19. Jahrhunderts zu sein mit einer guten Tasse Tee, am späteren Tag mit einem guten Wein, da zu sitzen und ein gutes Buch zu lesen. Ich finde das herrlich.

Die letzten zwei Jahre sind so gut gelaufen und ich bin so zufrieden mit allen Formaten, die ich aus eigener Kraft auf die Bühne gebracht habe. Diese Grammophon-Lesungen zum Beispiel. Darauf bin ich echt sehr stolz und es hat lange gebraucht, bis es so lief, wie ich mir das vorgestellt habe. Und wenn das einem dann so plötzlich genommen wird und Leute auch sagen: Oh, wir vermissen das so, – das ist schon schlimm.

Jetzt, wo es möglich ist zu spielen, ist es toll zu merken, wie das Publikum das wie ein Schwamm aufsaugt und so viel zurückgibt. Es war ein bisschen die Angst von mir und meinem Pianisten wie es sein wird, wenn da nur ein Drittel Publikum sitzt. Diese großen Lücken und dann sitzen sie mit Mundschutz da. Aber das war überhaupt kein Problem.

Die Reaktionen waren anders. Man hat das Kichern nicht gehört, was sonst vom Publikum kommt, weil es hinter der Maske bleibt. Aber danach, der Applaus nach jedem Lied und der Schlußapplaus, das haben wir in 30 Jahren nicht erlebt. Diese Dankbarkeit, die da raus kam.

Ich nehme es persönlich, wenn jemand sagt, ‘die Künstler sind nicht systemrelevant’.

Das ist für mich sowieso schon das Unwort des Jahres. Und dann zu spüren, es stimmt einfach nicht. Ich bin für die 70 Leute, die da sitzen, systemrelevant.

Das war ganz süß. Mir hat eine Fanin nach dem Konzert geschrieben und sich so bedankt. Wir haben ein bisschen gechattet und ich habe gesagt: Wissen Sie, das Wort systemrelevant, das macht mich echt krank und dann hat sie mir nur geantwortet: „Ach, wer will denn systemrelevant sein, wenn er lebenswichtig ist.“ Da kommen mir jetzt noch die Tränen.

Das habe ich mir für dieses Jahr als Mantra genommen.

Das sage ich mir auch wirklich und das wirkt. Und das ist eben auch eine positive Auswirkung dieser… jetzt hätte ich fast Depression gesagt…. dieser Situation (lacht), dass einem so etwas geschenkt wird und dass das Verhältnis zwischen Künstler und Publikum so intensiv ist, wie nie zuvor.

Was mich im ersten Lockdown wirklich gerührt hat war, dass sich weitläufige Bekannte bei mir gemeldet haben, die finanziell gut gestellt sind, aber auch andere, und gesagt haben: Jo, wenn es hart auf hart kommt, du kannst dich jederzeit hier melden und Geld ist hier kein Thema. Wirklich, in den ersten Wochen kam das einmal in der Woche. Ich dachte: Wow! Großartig!

Das ist so eine schöne Erfahrung, dass ich ein sehr mitdenkendes und mitfühlendes Publikum habe.

Mir geht es immer darum, Inhalte, die ich momentan gesellschaftlich als wichtig empfinde, auf die Bühne zu bringen. Ich glaube, dass man sich über Inhalte mehr verbindet, als über so einen egomanen schnellen Witz. Das ist vielleicht meine intellektuelle Haltung. Ich gehe immer auf die Bühne und mein größter Wunsch ist es, dass die Leute am nächsten Morgen am Frühstückstisch sitzen, sich bei der zweiten Brötchenhälfte angucken und sagen: Also dieser eine Satz von gestern Abend, der geht mir noch durch den Kopf und dann miteinander ins Gespräch kommen. Wenn ich das als Feedback bekomme, ist das für mich immer das Größte.

All das sind Sachen, die sehr fehlen und die man jetzt unglaublich vermisst.

Alleine das Proben. Als wir jetzt im August wieder angefangen haben zu proben, hatten wir echt Tränen in den Augen. Wir dürfen endlich wieder in dem arbeiten, was wir für wichtig halten. Für diesen Beruf haben wir uns bewußt entschieden. Und ich möchte keinem Banker oder PolitikerIn absprechen, dass er sich nicht auch bewusst dafür entschieden hat.

Warum mir aber diese Leute mein Leben, bzw. meine Lebensform absprechen dürfen – und das passiert meinem Gefühl nach – das verstehe ich nicht. Diese Unterstellung, dass Künstler lügen, weil keiner, der sich in diesem normalen Verbraucherding bewegt, sich überhaupt vorstellen kann, dass man so leben kann. Mit relativ wenig Geldverdienen, Selbstausbeutung als Dauerbegleiter und unheimlicher Fahrerei.

Dass ich die Bühne so vermisse, war für mich ein Aha-Erlebnis.

Weil ich oft auch ein bisschen kokett gesagt habe, ach, wenn das mit der Bühne nicht klappt, dann habe ich ja noch andere Berufe und habe damit das Coaching gemeint.

Mit Ende 30 fragte ich mich, will ich jetzt nur Bühne? Will ich mit 65, faltig und wackeliger Stimme auf der Bühne stehen? Was gibt es denn noch? Ich habe mit 30 begonnen, als Klient Familienaufstellung für mich zu machen und habe mich umgetan. Und siehe da, wurde ich in einer Ausbildungsgruppe aufgenommen, die eigentlich nur Therapeuten vorbehalten war. Aber weil dieser Aufstellervater gesagt hat, ich sehe da etwas bei dir, ich kann da nicht weggucken, nehme ich dich auf. Das war mein großes Glück. So bin ich nach zweieinhalb Jahren systemischer Coach und Familienaufsteller geworden.

Das ist eben das, was mich jetzt gerade rettet. Finanziell ist es nur ein Bruchteil dessen, was ich sonst auf der Bühne verdiene. Aber für mich geht es viel mehr darum, dass ich etwas Sinnvolles tue.

Ich habe eine Hochsensibilität, was es mir Gott sei Dank ermöglicht, als Coach zu arbeiten. Aber in der Bühnensituation ist es extrem anstrengend, weil ich sehr viel mehr Eindrücke verarbeiten muss.

Es ist toll als Regisseur, weil ich das Gras wachsen höre, wenn es Probleme gibt. Und ich komme ganz schnell auf Ideen, aber deswegen war ich immer schon jemand, der sich nach Auftritten sehr zurückgezogen hat. Ich bin auch viel zu Hause und ich muss gucken, dass ich mich körperlich nicht überanstrenge. Von daher gibt es auch Zeiten, wo ich das momentan total genieße: dass die Stadt ruhig ist, dass das Telefon nicht so klingelt.

Das große Problem bei dieser Coronageschichte: es gibt Menschen, für die hat sich überhaupt nichts geändert, aber für Künstler ist von heute auf morgen alles in Frage gestellt.

Die ersten 4 Wochen habe ich es nicht begriffen.

Ich habe hier gesessen und konnte mich eigentlich nicht bewegen. Die einzige Aktivität war, dass ich in den ersten zwei Wochen ständig Anrufe bekam und mir wurden 40 Auftritte abgesagt.

Es gibt ja diese wunderbare Initiative Kulturzeiter*in von Daniela Capelutti und Effi Rolfs von der Schmiere. Die beiden haben das ganz früh schon gestartet, wo ich noch in der totalen Schockstarre war. Kulturzeiter*in macht in Offenbach und Frankfurt für Künstler dieses Feld auf. Man kann spenden und dann wird es verteilt an die, die sich gemeldet haben. Da habe ich gleich 500 Euro bekommen, so unbürokratisch würde ich mir das vom Staat wünschen. Das war großartig!

Nun muss ich sagen, dass Geld nie mein Thema war und ich weiß, dass ich vom Elternhaus sehr privilegiert bin. Ich komme von der väterlichen Seite aus einem Haushalt, wo durchaus der Pfennig drei Mal umgedreht wurde. Von der mütterlichen Seite komme ich aus einem Fabrikantenhaushalt. Und das auch mit einer Flüchtlingsgeschichte. Mein Großvater hat in Oberursel angefangen und war Seifensieder. Die Fabrik seines Vaters, welche ein Riesenunternehmen war, ist im Krieg zerstört worden. Er hat selbst angefangen mit dem Seifensieden in einem Kessel in einer Garage und hat sich dann ein Unternehmen aufgebaut. Davor habe ich einen Riesenrespekt.

Mein Großvater hat immer dafür gesorgt, dass es seinen Kindern und vor allem seinen Enkeln gut geht.

Ich konnte mit jedem Wunsch kommen. Zum Beispiel, als ich mir mit 11 Jahren ein Grammophon gewünscht habe. Er hat es mir geschenkt, weil er wusste, er macht mich damit glücklich. Und er hat damit den Grundstein gelegt für meine Grammophon Lesungen, womit ich heute zum Teil mein Geld verdiene.

Ich habe auch immer gelernt, dass man nicht über seine Verhältnisse lebt. Das ist etwas, was mir vollkommen fremd ist. Ich bin nicht so aufgewachsen, dass ich Statussymbole brauche. Mir ist es vollkommen egal, was ich für ein Auto fahre. Hauptsache, es ist sicher und es fährt, und ich kann genug Requisiten reinladen (lacht). Ich brauche keine großen Reisen. Ich habe das Glück, dass ich durch meinen Beruf viel von der Welt gesehen habe, aber das muss nicht immer das Teuerste sein. Und ich genieße es natürlich, in guten Hotels untergebracht zu sein, aber ich kann genauso gut privat wohnen.

Ich habe – Gott sei Dank – immer gut vorgesorgt. Wie ein Eichhörnchen verbuddele ich gerne mal eine Nuss, um mich nach 2 Jahren daran zu erinnern, wo sie liegt.

Das kommt daher, dass ich schon sehr früh in meiner 30-jährigen Karriere mit älteren Schauspieler/Innen gearbeitet habe. Ich habe da gesehen, dass viele gar nicht mehr arbeiten wollten oder es auch körperlich gar nicht mehr richtig konnten, aber sie mussten. Weil sie einfach Geld verdienen mussten bis zum letzten Atemzug. Das möchte ich nicht.

Für mich war es immer wichtig, dass ich mich durch meinen Beruf ernähren kann. Wenn dem nicht so war, habe ich andere Möglichkeiten gesucht. Es gab durchaus Momente, wo meine Bühnenkarriere stagniert hat. Dann bin ich 3 Jahre zum Hessischen Rundfunk gegangen und habe dort als Sprecher gearbeitet und die Präsenzredaktion gemacht. Ich habe dort viel gelernt.

Die Motivation war nicht, dass ich zu wenig Geld verdiene, sondern dass ich weniger zu tun hatte.

Ich langweilte mich, also habe ich die Zeit genutzt.

So war es dann auch mit der Regie. Das war einfach dran und dann hatte ich plötzlich viel mehr Lust 10 Jahre lang Regie zu führen, als auf der Bühne zu stehen.

Das habe ich sehr gemerkt, dass es nicht ums eigentliche Geldverdienen bei mir geht, was ein Luxus ist. Da bin ich mir ganz sicher. Und da habe ich manchmal fast ein schlechtes Gewissen den Kollegen gegenüber, die Familien haben. Ich bin alleinstehend und sitze in einer abbezahlten Eigentumswohnung.

Das ist mein Glück, war aber auch nie mein Modell, muss ich gestehen. Ich bin da viel sorgloser als meine Mutter. Als ich 4 Jahre alt war, verschwand mein Vater und hat kaum Alimente gezahlt. Meine Mutter hat mich mit einem Halbtagsjob und der Hilfe ihres Vaters großgezogen. Das war finanziell knapp, aber meine Mutter hat mir immer das Gefühl von Sicherheit gegeben. Und das ist ein großes, großes Geschenk.

Das wird mir sehr bewußt in solchen Zeiten. So viel entscheidet darüber, was wir als Kinder mitbekommen haben an guten Werten und ich bin froh darüber, dass mir Luxus nie wichtig war. Immer wurde die Frage gestellt: brauchst Du das wirklich? Und ich sagte: öh, nein. (lacht) Dafür andere Wünsche, wo dann gespürt wurde, oh ja, das scheint ihm wichtig zu sein. Wie zum Beispiel mit 11 Jahren das Grammophon. Wo man sagen könnte, das ist ja Schwachsinn. Nein. Mein Großvater hat gesehen, der Junge kommt zu mir – ich wusste natürlich genau, warum ich zu meinem Großvater komme, weil ich wusste, der ist dafür anfällig – und ich habe gesagt:

“Opa, ich will nichts anderes, nur dieses Grammophon.”

Und das hat ihn so beeindruckt, dass er mir das geschenkt hat. Und darum geht es.

Es ist immer wichtig zu wissen: renne ich jetzt irgendeinem Versprechen eines Staates hinterher, der mir eigentlich dauernd zeigt, er hat mich nicht im Blick, oder bleibe ich bei mir? Am selben Tag, an dem Herr Heil sich hinstellt und sagt, wir verlängern das Kurzarbeitergeld bis zu 87 % des normalen Bruttogehalts um ein ganzes Jahr, wenn du Familie hast, – am selben Tag war in den Nachrichten, dass die Novemberhilfe jetzt beschlossen ist, die total schwierig und kompliziert ist. Und dass angedacht ist, uns für Dezember bis Juni höchstens 5000 Euro zu zahlen. Also da komme ich netto auf 314 Euro im Monat. Das ist unter dem Hartz 4 Satz.

Da finde ich es extrem wichtig für mich reinzuspüren:

stelle ich mich jetzt hier mit offenen Händen hin und sage: bitte, bitte, bitte, oder sage ich: Wißt ihr was? Ich konzentriere mich jetzt auf das, was mir Freude macht. Und so ist es gerade. Ich sitze an einem digitalen Adventskalender. (Die Videos findet Ihr in den nächsten Wochen als Playlist auf Youtube. *Anmerkung der Fotografin). Wenn da jemand etwas spendet freue ich mich. Aber hauptsächlich komme ich in Kontakt mit meiner Arbeit der letzten 30 Jahre, weil ich total viele alte Videos sichte. Das ist noch mal irre, darauf zu gucken.

Ich mache diesen Kalender, um Kontakt zu meinen Fans zu halten. Die sagen mir auch, sie vermissen das: mich zu sehen, mich zu hören, Austausch zu haben. Und das ist genau so wichtig. Ich arbeite eigentlich vor. Wenn ich den Kontakt jetzt abbrechen lasse, würde es dauern, bis ich das im nächsten Jahr oder übernächsten Jahr wieder aufhole, die Leute wieder ins Boot zu holen. Da muss man sich etwas überlegen.

Im Moment geht es nur digital. Ich muss mich da extrem reinfuchsen. Nicht, dass mir das in die Wiege gelegt ist. Aber es macht mir auch Spaß, mich mit Videoschnittprogrammen zu beschäftigen. Ich bin da auch ganz stolz auf mich. Ich sehe plötzlich Seiten von mir, die ich so nicht vermutet hätte.

Als Coach und als jemand der Yoga macht weiß ich, dass es um das Leben im Jetzt geht.

Und witzigerweise ist das genau das, was ich tue. Ich lebe gerade von Tag, zu Tag, zu Tag, und gucke, wie es mir geht und damit fahre ich gut. Und das ist etwas sehr Positives. Und es ist sehr positiv zu spüren, dass ich es kann. Das hätte ich so nicht gedacht.

Wenn man irgendwo liest, man soll zur Erleuchtung kommen, man soll im Jetzt leben, und man denkt sich, wie soll das gehen und auf einmal merkst Du, das machst Du schon die ganze Zeit. Wenn Du immer an derselben Geschichte arbeitest, das ist nicht gut. Ich habe zum Beispiel ein 50er Jahre Programm gemacht, das kam super an. Da würden dann andere 10 Jahre lang 50er Jahre Programme liefern, und dann wird es eben Masche.

Ich habe immer gewechselt. Ich habe immer geguckt, was ist jetzt wichtig.

Was kann ich jetzt fühlen? Was will ich einbringen? Das ist dieses Schmiermittel, das wir Künstler in die Gesellschaft bringen. Dass wir eben immer schauen, was ist aus unserer Sicht wichtig. Ich finde, das sieht man momentan deutlich im Außen. Diese ganze Gewalt, die wirklich rüden Auseinandersetzungen auch in den sozialen Netzwerken. Das wird nicht mehr abgefedert, nicht mehr rundgelutscht, nicht mehr abgeschmiert durch Kunst. Und sei es auch nur, dass ein DJ am Wochenende irgendwo auflegt und man diese Aggression in Tanzen rauskriegt, im Gezappel.

Man lernt leider auch gerade extrem die Gesellschaft kennen, in der wir leben.

Und von einer Seite, die ich nie vermutet hätte und so auch nicht möchte. Auch da wird mir gerade mein sehr privilegiertes Dasein als Künstler bewußt. Dass ich mit ganz vielen Bevölkerungsschichten, die gerade sehr laut werden, nicht in Berührung komme in meinem normalen Leben. Das war mir natürlich als Kabarettist immer bewußt. Die alte Krux, dass wir nur den Leuten die Inhalte predigen, die sie ohnehin schon wissen. Keiner geht ins Kabarett, der sich sowieso nicht schon über diese Misere, die wir auf der Bühne ansprechen, nicht schon mal Gedanken gemacht hätte. Diese wirkliche Erweckung ist schwierig. Ich mache ja viel auch über Holocaustthemen. Da gibt es tatsächlich Leute, die sagen: meine Güte, in der Zuspitzung ist mir das noch nicht bewußt gewesen. Das ist dann schon toll.

Ich finde es, um auf das Thema Resilienz zu kommen, gerade eigentlich wichtiger, sich gesund zu erhalten; was ja auch das Grundthema ist, warum uns dieser Lockdown beschert worden ist. Es geht nicht nur darum, sich vor Corona, dem konkreten Angriff dieses Virus zu schützen, sondern überhaupt mal darüber nachzudenken, was tut mir gut.

Was erhält mich gesund? Was erhält mein Immunsystem oben?

Dann merke ich, dass mir ein dauerndes Beschäftigen damit, was angeblich an meinem Dasein, an meinem Beruf als Künstler nicht richtig sein soll, nicht gut tut. Mich mit irgendwelchen Fördermaßnahmen, die unausgegoren sind, die noch gar nicht als Gesetz da sind, herumzuschlagen.

Auch den Austausch in den sozialen Netzwerken schränke ich jetzt im zweiten Lockdown extrem ein. Im ersten Lockdown war ich noch sehr aktiv dabei, weil ich es auch wichtig fand. Früher habe ich soziale Netzwerke wahrgenommen als Wettbewerb: größer, schöner, weiter. Man hat immer nur geguckt, was macht der andere, oder die andere. Und hat sich dann geärgert. Da kommt so ein Neidfaktor hoch, obwohl wir alle wissen, dass wir nur mit den Sachen angeben, die gut laufen. Die anderen werden verschwiegen.

Da hat sich jetzt etwas ganz anderes eingestellt, nämlich dass hier ein guter ehrlicher Austausch über diese Situation stattfindet. Und das schätze ich sehr.

Aber ich merke, dass mir diese Dauerbeschäftigung mit irgendwelchen staatlichen Förderungen eben nicht gut tut. Das heißt, ich verzichte auch manchmal bewußt auf Gelder, die ich vielleicht beantragen könnte, weil ich merke, das bringt mich so weit von mir weg und so in Rage und geht eigentlich gegen meine Kraft, gegen meine Resilienz und schwächt natürlich mein Immunsystem. Ich beschäftige mich lieber mit etwas, was mir Spaß macht. Auch wenn es mir jetzt erst mal per se kein Geld bringt.

Natürlich ist mir das Thema Gesundheit auch so extrem bewußt, weil ich, seit ich denken kann, mit Depressionen zu tun habe. Also depressive Verstimmungen bis auch zu wirklichen Suizidgedanken. Das ist in meinem Leben anwesend und ich habe mich über viele Therapien, zuletzt dreieinhalb Jahre Psychoanalyse bis letztes Jahr, sehr damit beschäftigt. Einfach mir auch sehr bewußt gemacht, was mir hilft. Und an diesem 13.3., beim Beginn des allerersten Lockdowns, dachte ich mir:

Oha, jetzt mußt Du vorsichtig sein.

Jetzt musst du das wirklich im Visier haben, dass die Depression nicht kippt und sich hier einnistet. Also jeder, der sich mit Depressionen beschäftigt hat, weiß, dass das etwas nicht wirklich Steuerbares ist. Man geht am Abend ins Bett, es hat sich noch nichts gezeigt und man wacht morgens auf und merkt: es ist da.

Ich sage immer, das ist wie ein Verwandter, der vor der Tür steht, den man nicht besonders mag, aber auch nicht abweisen kann und der lässt sich noch einen Tee servieren und noch ein paar Kekse und der sitzt da in der Sofaecke und guckt dich an. Du bist dauernd mit ihm beschäftigt, obwohl du eigentlich nicht mit ihm beschäftigt sein willst. Und dann bleibt der auch noch zum Abendessen und über Nacht und dann gehst du ins Bett und hoffst, dass er am nächsten Morgen weg ist und dann sitzt der immer noch da. Und du kannst nur warten, dass er weg geht, oder eben Dinge tun, die du meistens mit einer analytischen Hilfe rausbekommen hast, wo du sagst, damit kann ich gegensteuern.

Das heißt zum Beispiel, raus gehen.

Ich wohne sehr bewußt in einem ruhigen Teil der Innenstadt. Das ist mein Privileg, dass ich hier ins Grüne gucke, das ist großartig. Ich habe das Gefühl, ich lebe sehr mit der Natur. Es freut mich jeden Morgen, dass das Erste, was ich höre, das Spatzenkonzert gegenüber in diesem Busch ist. Da sitzen 20 Spatzen und erzählen sich jeden Morgen etwas. Das ist eine große Freude.

Wenn ich dann merke, es geht in die Depression, bin ich aber auch sofort im Leben. Ich gehe auf die Straße und bin in der Innenstadt. Das ist ganz wichtig. Und das ist eben wirklich schlecht für Depressive, wenn das plötzlich eingeschränkt ist. Ich finde, das ist nicht gut mitgedacht in diesem ganzen Lockdown, so sehr ich dieses Denken der Politiker verstehe. Aber es ist eben manchmal ein blinder Aktionismus und ich glaube, dass diese große Gruppe von Depressiven vergessen wird.

Es ist wichtig, dass ein Depressiver sichere Orte hat.

Das ist für mich zum Beispiel das Switchboard in Frankfurt. Das ist ein Café von der Aidshilfe, das ist ein guter Ort für mich. Dort fühle ich mich sicher. Wenn ich merke, oh, jetzt geht es ein bisschen in eine düstere Richtung, dann weiß ich, okay, ich muss den Moment erwischen, um mich anzuziehen und rauszugehen und dann bin ich in 10 Minuten da. Sobald ich dort bin, dann passiert das, was ich immer “mein Glühwürmchen-Gen” nenne. Da fällt das Licht drauf und dann strahle ich. Es kommt auch nach 15 Minuten immer jemand rein, den ich kenne. Ich kenne die Leute hinter der Bar. Ich habe dort auch schon viele Lesungen gemacht und arbeite als Coach da, also ich kenne die Leute. Das ist eben jetzt auch mit dem Lockdown mit der Gastro ganz, ganz blöd, dass mir da ein wichtiger sicherer Ort wegfällt. So wird es vielen gehen. Das denkt man irgendwie nicht und das ist wichtig, dass man das auch ins Bewusstsein bringt.

Und klar Sport machen. Das Sportstudio hat auch zu. Das habe ich jetzt aufgefangen, indem ich hier Youtube Workout Videos von Gofeminin – wunderbarer Kanal (lacht) – für mich entdeckt habe und das jetzt auch wirklich eine Alternative geworden ist, weil ich mich im Sportstudio nicht so wohl gefühlt habe. Ich lasse mich nicht gerne beobachten beim Sportmachen. Ich habe auch beim Sportunterricht früher immer sehr darunter gelitten, dass ich nicht sehr sportlich war. Ich bin es aber geworden in meinem erwachsenen Leben, durch Yoga und noch viel mehr.

Ich finde es total schön, dass ich hier die blödesten Verrenkungen machen kann, auch mal etwas schief gehen kann, ohne dass einer zuguckt.

Oder ich denke ja nur, dass einer zuguckt. Die meisten gucken ja gar nicht.

Aber auch das ist etwas Gutes, was ich jetzt im Lockdown für mich entdeckt habe. Was wirklich auch eine wichtige Erfahrung ist, gerade dann eben in dieser Depression. Es gab dann natürlich diese Momente, wenn man dann in der Depression ist oder in einer depressiven Verstimmung (den Unterschied muss man schon machen), und ich wusste, ich muss abends auf die Bühne. Wo ich manchmal ins Auto steige und so schwach bin und mir es überhaupt nicht vorstellen kann, jetzt vor Publikum zu treten. Es gibt diesen Moment, wo ich dann aussteige, der Veranstalter steht vor mir, ich gehe durch die Tür des Theaters und dann übernimmt Jo van Nelsen.

Das ist eben auch etwas, was jetzt fehlt.

Es gab vor etwa 10 Jahren einen Tag, da stand ich hier auf dem Balkon und ich habe gedacht, springe ich jetzt oder springe ich nicht. Das war einer der schockierendsten Momente in meinem Leben. Und dann hatte ich Gott sei Dank noch die Kraft einen Menschen anzurufen, der gesagt hat, du bewegst Dich nicht vom Fleck. Der ist aus seiner Arbeit raus, hat sich ins Auto gesetzt, war eine halbe Stunde später hier und hat gesagt, ich gehe hier nicht weg, bevor ich dich nicht in sicheren Händen weiß. Er hat mich dann in die psychologische Notfallaufnahme in der Uniklinik gebracht. Das war eigentlich nicht mehr als ein gutes Gespräch mit der Therapeutin dort vor Ort und ich fand das großartig. Ich wusste nicht, dass es so eine Institution gibt. Das finde ich wunderbar.

Und dann sehe ich mich am selben Tag nachmittags um 16 Uhr am Mainufer nach Hause laufen und musste abends in Bad Vilbel eine Hesselbach Lesung machen. Um 16 Uhr habe ich gedacht, das kann ich nicht, das schaffe ich nicht. Mein großes Glück war, dass ich die Veranstalterin sehr gut kenne, Maria Ochs, und ich habe sie angerufen und ihr erzählt, was passiert ist. Sie hat gesagt, wenn du es irgendwie kannst, komm, wenn du eine Viertelstunde vorher sagst, ich kann es nicht, überhaupt kein Problem. Aber ich bitte dich, komm. Das war ein Riesenglück.

Das war das erste Mal, dass ich auf diese Art erfahren habe, was dieser Beruf für ein Geschenk ist.

Du gehst auf die Bühne – ich weiß noch, die ersten 5 Minuten habe ich ziemlich gezittert, auch körperlich – und dann habe ich irgendwann gedacht, das sind die 2 Stunden, wo ich bestimme, wie die Welt läuft. Ich habe es für 2 Stunden im Griff, weil ich das Buch kenne, ich weiß genau, was ich mache. Auch das sind Dinge, die jetzt fehlen. Es kann etwas sehr Persönliches sein. Ich glaube aber, dass ganz viele Kollegen das auch kennen.

Ich würde mir wünschen, dass diese Pandemie uns Künstler untereinander mehr in eine Ehrlichkeit bringt.

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